Vor Jahren musste ich mir angewöhnen, mehr auf Körpersprache und meine Umgebung zu achten. Seither nehme ich viele Dinge wahr, die andere gar nicht für nennenswert erachten. Obwohl ich schon gefühlte 1000 Mal bei einer Freundin zu Hause war, schweifen meine Blicke grundsätzlich durch die Wohnung, ich achtete auf Veränderungen.
Bei meinem letzten Besuch fiel mir ein Blatt Papier mit der Überschrift “Löffelliste” auf. Darunter waren einige Bildchen gezeichnet, sodass das Blatt meine Neugier weckte: “Was ist eine Löffelliste?” wollte ich wissen. “Eine Löffelliste ist eine Liste mit Dingen, die man machen möchte, bevor man den Löffel abgibt.” Hm. Der Begriff war mir neu, ich habe ihn aber wahrscheinlich schon einmal gehört, gängiger ist eine sogenannte “Bucket List” weil ja alles inzwischen aus dem Englischen kommt und unsere deutsche Sprache immer mehr an Qualität verliert. Seis drum.
Sie erläuterte mir ihre Zeichnungen und wieso sie keine Liste geschrieben, sondern alles aufgezeichnet hat. Im Verlauf des Gesprächs wurde ich etwas bedrückt, weil die Thematik quasi neuer Zündstoff für meine wiederkehrende Todesangst war. “Was ist, wenn mir meine Zeit nicht reicht?” – ein Gedanke, der sich immer mal wieder breitmacht.
Als ich weiter drüber nachdachte, sind mir nicht sehr viele Dinge eingefallen. Tatsächlich war es zunächst nur Fallschirmspringen. Mir würde bestimmt noch mehr einfallen, wenn ich mir die Zeit nehmen würde, alles aufzuschreiben. “Fallschirmspringen, Liebe, Kitsch, tralala und Mini.” war die zweite Aussage.
Auf dem Weg nach Hause sind mir noch ein paar Dinge durch den Kopf gegangen, mir wurde dann schnell klar, dass es sich irgendwie wie “Ich packe meinen Koffer anfühlt”:
- Fallschirmspringen
- Fallschirmspringen, Liebe und der ganze Schnulz
- Fallschirmspringen, Liebe und der ganze Schnulz, Mini
- Fallschirmspringen, Liebe und der ganze Schulz, Mini und ein Streichinstrument spielen
Es ging immer weiter. Bereits im Gespräch davor äußerte ich den Gedanken, dass man das wahrscheinlich eher wie eine Pyramide aufbauen müsste. Ganz oben steht das ultimative Ziel, darunter das, was man dafür benötigt, darunter dann wieder das, was dafür benötigt wird, etc.
Trotz meiner Pyramiden-Idee nahm ich zunächst ein leeres Blatt Papier und fing an, einige Dinge aufzuschreiben. Ich verwarf meine Aufzeichnungen dann aber und kam wieder auf die Pyramide zurück.
Glücklich sein
Ganz oben stand: “Glücklich sein” – damit meine ich jedoch nicht für den Moment, sondern so ganz allgemein, quasi ein anhaltendes Gefühl, eine grundsätzliche Lebenshaltung. Um für den Moment glücklich zu sein, bedarf es bei mir tatsächlich nicht sehr viel. Es reicht beispielsweise, wenn ich mein Auto sehe – dann bin ich für den Moment glücklich, im Nächsten denke ich dann, dass ich demnächst die Steuerkette erneuern lassen sollte und mich das Ganze wohl 1500€ kostet. Ich bewerte mein Gehalt, was eigentlich in Ordnung ist und alle 2 Jahre erhöht wird, aber meine Ausgaben sind zu hoch und ich muss noch zu viel Mist aus der Vergangenheit beseitigen, was mich wiederum traurig stimmt.
Mir kommen dann weitere Gedanken. Gedanken darüber, wie unverantwortlich ich durch meine Jugend gerutscht bin, was ich damals alles verpasst habe, wo ich mir überall selbst im Weg stand usw. Es sind inzwischen Jahre vergangen seit meiner “Jugend” und auch wenn ich immer wieder Fehler mache, teilweise sogar die gleichen, so entwickle ich mich doch stetig weiter. Schritt für Schritt dem Ziel entgegen.
Ganz oben steht “Glücklich sein”, etwas weiter unten “finanzielle Unabhängigkeit” – Dinge, die sich durchaus realisieren lassen, aber ich weiß nicht, ob mir meine Zeit reicht. Ob ich es echt an den Punkt schaffe, aus der Melancholie auszubrechen und ganz oben anzukommen. Nun könnte man sagen, dass der Weg das Ziel ist – doch ist er das denn wirklich? Was ist, wenn ich eines Tages oben angekommen bin? Bin ich dann bereit, den Löffel abzugeben?
Eine einfache Löffelliste ist eine scheiß Idee, zumindest für Menschen wie mich. Aber die Pyramide, hm… ich denke, mit der kann ich anfreunden.